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AUSGABE Nr.3 März-April 2007

Bauprojekte in Abu Dhabi
Bedachte Gigantomanie in der emiratischen Hauptstadt?

Das Emirat Abu Dhabi ist mit 85 Prozent der Gesamtfläche das größte und reichste der Vereinigten Arabischen Emirate. Zehn Prozent der weltweit bekannten Ölreserven befinden sich in Abu Dhabi und sorgen für Fortschritt und Wohlstand. Die gleichnamige Hauptstadt liegt auf einer knapp 60 Quadratkilometer großen vorgelagerten Insel. Der bekannte Nachbar Dubai nutzt schon seit Jahren die Gunst der Stunde und sorgt durch spektakuläre Bauprojekte für internationale Aufmerksamkeit. Mittlerweile zieht Abu Dhabi nach und liegt seit einiger Zeit im Wettstreit mit der berühmten Wüsten-Metropole. So werden auch hier moderne und große Bauwerke erschaffen, um endlich aus dem Schatten Dubais herauszutreten.

Noch vor 50 Jahren befanden sich nur kleine Hütten und einfache Häuser auf der Insel. Dem Ort fehlte es an allen Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation: Es gab keine Kanalisation, kein Krankenhaus, keinen Strom. Doch mit den Ölfunden hielt der Reichtum Einzug, der mittlerweile in unermesslichem Luxus gipfelt. Diesen versucht die junge Metropole mit allen Mitteln darzustellen. Obwohl die Insel Abu Dhabi flächenmäßig stark begrenzt ist, schießen Hochhäuser ebenso aus dem Boden wie im Nachbarstaat Dubai. Aufgrund der räumlichen Situation könnte es als kontrolliertes Wachstum bezeichnet werden. Die Bauherren kennen jedoch keine Grenzen und lassen sich selbst von natürlichen Schranken nicht zurückweisen. Alles ist möglich! So wurde die Küstenpromenade vor einigen Jahren einfach verbreitert und ins Meer gebaut. Abu Dhabis sechsspurige Prachtstraße ermöglicht nun ein gemütliches Fahren entlang des türkisblauen Wassers. Großzügig angelegte Straßenzüge, grüne Palmenwege und Parkanlagen lassen die Wüstenähe vergessen, dennoch kann die Idylle nicht von den bevorstehenden Megaprojekten ablenken. Egal, ob ganze Inselgruppen besiedelt werden, Hochhäuser scheinbar den Himmel erreichen oder luxuriöse Wohneinheiten geplant sind; Geld scheint in Abu Dhabi keine Rolle zu spielen.

Zu den führenden Immobilienunternehmen in Abu Dhabi zählen Aldar Properties und Sorouh. Mit diesen Firmen werden die Träume der Auftraggeber verwirklicht und geplante Megaprojekte in die Tat umgesetzt. Doch es siedeln sich immer mehr Immobilienfirmen in Abu Dhabi an: So wird sich die Al Qudra Gruppe mit dem Bau von Danet Abu Dhabi ein Denkmal setzen. Auf einer Fläche von 210.000 Quadratmetern sollen 34 Wolkenkratzer entstehen. Innerhalb von nur drei Jahren möchten die Bauherren Wohn- oder Büroflächen fertig stellen.

Das Wahrzeihen der emiratischen Hauptstadt ist das Sieben-Sterne-Luxus-Hotel Emirates Palace. Das Gebäude befindet sich auf einem eine Million Quadratmeter großen Gelände, der prunkvolle Palast selbst zählt 114 Kuppeln, 92 Luxus-Suiten und 302 Deluxe-Zimmer. Für das richtige Licht sogen 1000 Swarovski-Kristall-Leuchter. Gäste können sich an aufwendig gestalteten Poollandschaften oder dem 1,3 Kilometer langen Privatstrand verwöhnen lassen. Das Märchen von tausend und einer Nacht wird hier wahr.

Anfang 2003 brannte der alte Souk Abu Dhabis in der Innenstadt völlig nieder – dies stellte eine günstige Gelegenheit für die Ansiedlung des neuen Zentralmarktes in der Stadtmitte dar. Drei moderne Türme sind geplant und im Bau; dank einer 24-Stunden-Großbaustelle sollen die ehrgeizigen Pläne in kürzester Zeit umgesetzt werden. Zum 700-Millionen-Dollar-Projekt gehören Hotels, Wohnungen und Geschäfte. „Klare Linien“ lautet das neue Architekturmotto der Hauptstadt, so sollen sich die neuen Gebäude gut in das Stadtbild eingliedern.

Innerstädtisch verändert sich Abu Dhabi täglich, die geplante Umstrukturierung des Hafens nimmt immer konkretere Formen an. Ansässige Geschäftsinhaber, wie die Betreiber des Pflanzenmarktes, mussten innerhalb einer Woche ihre Niederlassungen für anrollende Bagger räumen. Vorankündigungen können von heute auf morgen umgesetzt werden, ohne Rücksicht auf Verluste.

Natürliche Grenzen werden überwunden und Baulöwen entdecken immer neue Bereiche, die es zu betonieren gilt. In einem Mangrovengebiet außerhalb der Stadt soll für 400 Millionen-Dollar das „Al Grum Resort“ entstehen. Von den Bauherren als ökologisch sensibles Bauvorhaben angepriesen, sollen 60 Villen in die Sümpfe gebaut werden. In schillernden Farben locken Hochglanzprospekte die Kaufinteressenten nach Abu Dhabi. Für neun Villen fand sich sogar noch Platz auf eigenen privaten Inseln. Selbst Touristenströme sollen zukünftig in den Genuss der unberührten Landschaft kommen: Ein Fünf-Sterne-Hotel mit über 160 Zimmern ist geplant. Der Bau von Spa-Einrichtungen, 161 Suiten und drei Restaurants ist zusätzlich beabsichtigt. Ob das sensible Ökosystem der Mangrovenwälder das Bauvorhaben überstehen kann, wird die Zukunft zeigen.

Auch der Gürtel um die Hauptstadt wird optimal genutzt. Die „Al Raha Gardens“, nur knapp 20 Minuten von Abu Dhabis Innenstadt entfernt, stehen exemplarisch für die ehrgeizigen Bauvorhaben. 338 Bilderbuchvillen entstanden in der ersten Bauphase des Projekts. Als einsame Inseln bezeichnet, sollen sie ab März 2007 bezogen werden und das Ressort mit Leben füllen. Laut Aussagen der Betreiber wurden alle Häuser in 45 Minuten verkauft. In direkter Nachbarschaft werden in den nächsten Jahren acht neue Hotels und 470 weitere Villen entstehen; die Fertigstellung des Projekts ist auf zehn Jahre angelegt.

Luxus wird auch beim neuen Shangri-La-Hotel „Qaryat Al Beri Abu Dhabi“ groß geschrieben. Auf einem Gebiet von 8,5 Hektar entsteht ein weiteres Luxushotel, das sonnenhungrige Urlauber aus der ganzen Welt anziehen soll. Laut Bauplan können Touristen ihre Zimmer schon für Mitte 2007 buchen. Neben einem Privatstrand und einem zentralen Souk stehen für Gäste außerdem Abras, arabische Gondeln bereit – auf einer 700 Meter langen Wasserstraße kann so die Anlage durchquert werden.

Selbstverständlich sollen auch kulturelle Einrichtungen den Weg in die Wüste finden. Die Museumsinsel Saadiyat Island, die Insel des Glücks, wird zukünftig den Hunger nach Kunst und Kultur in Abu Dhabi stillen. Kein Geringerer als der amerikanische Stararchitekt Frank O. Gehry zeichnet sich für den Entwurf des Guggenheimmuseums verantwortlich. Mit diesem Bau stellt er die Guggenheimgebäude in New York, Venedig und Bilbao in den Schatten. Die Eröffnung des größten Guggenheimmuseums der Welt ist für das Jahr 2011 geplant. Neben diversen Kunstmuseen wird auch das Sheikh-Zayed-Nationalmuseum entstehen, ein Kunstzentrum mit fünf großen Veranstaltungssälen ist in Planung. Das 62 Meter hohe Gebäude soll eine Musik- und Konzerthalle, eine Oper und zwei Theater beinhalten. Mit einer Kapazität von 6.300 Sitzplätzen übertrifft eines der beiden Theater die Londoner Royal Albert Hall um 1000 Plätze. Kunst gepaart mit Freizeitmöglichkeiten ist das neue Geheimrezept der Insel. Der Museumsmeile schließen sich drei Jachthäfen, zwei Golfplätze und 29 Hotels an. Mehr als 7000 Zimmer sollen dem vergnügungshungrigen Besucher zur Verfügung stehen. Geplant ist außerdem der Bau eines weiteren Sieben-Sterne-Luxus-Hotels.

In den Himmel schießen auch die Ethihad Towers – 49 bis 74 Stockwerke sollen die Gebäude hoch werden, wobei der höchste der fünf Türme 300 Meter erreichen soll. Mit direktem Blick auf den Emirates Palace entstehen Bürogebäude sowie weitere Luxushotel und Apartments unterschiedlicher Größe. Bis 2010 sollen die Türme stehen.

Auch Gotteshäuser baut man im Großformat: In Abu Dhabi entsteht die zweitgrößte Moschee der Welt. Mit der Errichtung der Sheikh Zayed Grand Mosque setzt Abu Dhabi nicht nur dem verstorbenen Regenten ein Denkmal; das weiße Gebäude erstrahlt am Tag durch das Sonnenlicht und bei Nacht durch riesige Scheinwerfer am Stadtrand und stellt ein weiteres Wahrzeichen der Hauptstadt dar. Als Material wurde unter anderem Makrana-Marmor aus Indien verwendet, der schon für den Bau des Taj Mahal eingesetzt wurde. Nach ihrer Fertigstellung können 70.000 Gläubige gleichzeitig die Moschee zum Gebet besuchen.

In einem Land, in dem Geld anscheinend keine Rolle zu spielen scheint, können Design-Träume verwirklicht werden. Egal ob es sich um kommerziell genutzte Gebäude oder den Bau neuer Formel 1-Rennstrecken handelt: „Höher, schneller, weiter“ lautet die Devise in dem reichen Wüstenstaat am Golf. Es bleibt nur zu hoffen, dass das Märchen aus tausend und einer Nacht nicht im Meer versinkt.