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AUSGABE Nr.3 März-April 2007

My home is my castle
Arabische Wohnideen versus deutsche Geradlinigkeit

In Europa entwickelten sich die unterschiedlichsten architektonischen Stilrichtungen im Laufe mehrer Jahrhunderte. Extreme Wohnsituationen führten zu extremen Wohndesigns. Die verspielten, überladenen Zeiten des Rokokos oder Barocks wechselten sich mit geradlinigen, klaren Epochen wie dem Klassizismus oder dem Bauhausstil ab.

Jede Epoche weist ihren eigenen Stil auf. Zu Zeiten Luis XIV. zeigt sich der neue Reichtum in Äußerlichkeiten und damit auch in der Art und Weise der Wohnungsgestaltung. Opulente Einrichtungen mit farbenfrohen Möbeln fanden ihren Weg in die eintönigen Unterkünfte.

Jede Epoche weist ihren eigenen Stil auf. Unter Ludwig dem XIV. zeigte sich das Verschwenderische in ausladenden, goldverzierten Möbelstücken, prächtigen Sälen und voluminösen Gewändern. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts dominierten kräftige Signalfarben, Orangetöne waren aus keinem Haushalt wegzudenken und fanden sich in Tapeten, Möbelstücken, Wänden und sogar in der Kleidung wider. Die wilden 70er hoben sich von den spießigen Nachkriegsjahren ab. Der gesellschaftliche Wandel brachte schillernde und schrille Farben mit sich.
So konnte Europa während der letzten Jahrhunderte Stilrichtungen erproben und für sich entdecken. Der Geschmack des Einzelnen wird schon in jungen Jahren ausgebildet, und das von klein auf geschulte Auge weiß später sehr genau, nach welcher Stilrichtung das eigene Heim einzurichten ist. Sehr beliebt sind Dekorationen im dänischen, französischen, mediterranen Stil oder das nüchterne Bauhaus.

Mittlerweile legen besonders die Deutschen großen Wert auf praktische, funktionelle und ökologisch unbedenkliche Wohnlösungen. Hohe Mietpreise, teure Grundstücks- oder Baupreise zwingen so manchen, ein kleines Domizil für sich und seine Familie zu wählen. Filigrane Möbelstücke schmücken die heimischen Wohnungen. Auch der Klassiker, die moderne Schrankwand, fehlt in fast keinem Wohnzimmer.
Doch wie sieht das in unserem Gastland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, aus? Nach welchen Kriterien richten die Emiratis ihre großen Häuser ein?

Um diese Frage zu beantworten werfen wir einen Blick auf die emiratische Vergangenheit. Beduinen zogen noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mit ihren Karawanen von Ort zu Ort durch die Wüste. Sie lebten in Zelten und führten ein einfaches Leben, meist am Existenzminimum. Das gleiche galt für die Fischer an der Küste oder die Stadtbewohner, die in ihren kleinen Lehmhäusern lebten. Durch Ölfunde im letzten Jahrhundert veränderte sich das Leben. Unermesslicher Reichtum überschwemmt seitdem das Land. Die Lebensbedingungen verbesserten sich, niemand musste mehr Not leiden. Zu beobachten ist nun das gleiche Phänomen, das auch aus Europa nach langen Kriegsjahren bekannt ist. Der neu erworbene Reichtum wird zur Schau gestellt. Jetzt nur nicht kleckern! Das Stichwort ist: GROSS. Emiratische Grundbesitzer haben die finanziellen Mittel gigantische Villen zu bauen, die förmlich aus dem Boden sprießen. Selbst kleinere arabische Familienhäuser ähneln Palästen. An großzügig gestaltete Eingangshallen schließen sich geräumige Wohnzimmer an. Diese Aufteilung hat einen sozialen und kulturellen Hintergrund: Emiratische Familien leben im großen Familienverband, kaum eines der Kinder zieht aus, bevor es eine eigene Familie gegründet hat. So passen sich die Bedürfnisse den Umständen an, und großzügige Häuser werden gebaut. Sie sorgen auf der einen Seite für ein bequemes Leben, dienen aber auf der anderen Seite repräsentativen Zwecken.

Beim Betreten des riesigen Wohnzimmers fällt dem Gast sogleich die ausladende, üppige Sofagarnitur auf. Der Raum als solcher ist eher nüchtern, des Deutschen geliebte Schrankwand findet nur selten einen Weg in arabische Wohnzimmer. Dicke, weiche  Teppiche liegen auf dem Boden, die Wände sind jedoch meist nackt.

Kommunikation steht im Vordergrund, Familientreffen finden in den großen Wohnzimmern statt. So sitzt man stundenlang auf den Sofas oder macht es sich in alter beduinischer Art auf dem Fußboden bequem. In traditionellen arabischen Familien werden Mahlzeiten selten am Tisch eingenommen.
Schwere, opulente und verschnörkelte Möbelstücke füllen riesige Räume, üppige, verzierte und häufig glitzernde Kissen dekorieren die Sofas. So steht die Schönheit, nicht die Funktionalität, bei arabischen Familien im Vordergrund.
Beeinflusst durch die britischen Kolonialherren konnte sich jedoch in den letzten 35 Jahren kein eigener Einrichtungsstil herausbilden. Häufig findet sich in den hiesigen Häusern eine Sammlung der unterschiedlichsten Stilrichtungen, was gerade für deutsche Augen als wildes Durcheinander empfunden wird. Vom indischen Imperialstil inspiriert, übernahmen die emiratischen Hausbesitzer die Liebe zu dunklen Hölzern. Aber auch Kombinationen aus persischen, ägyptischen, syrischen und libanesischen Stilrichtungen finden sich in ihren Häusern wieder. Besonders begehrt sind filigrane Intarsienarbeiten, die in Accessoires, Tische oder andere Möbelstücke eingelassen sind.
Spricht man von „typisch arabisch“, darf auf die Farben Rot und Gold nicht verzichtet werden. Gold als Ausdruck von Reichtum erklärt sich von selbst, doch woher kommt die Liebe zu kräftigen roten Tönen? Rot ist auf der einen Seite als Signalfarbe anzusehen, steht aber auch für Wärme und Energie. Geometrische Formen in Rot und Schwarz verzieren häufig Kissen oder Zelte.

Ein weiterer Unterschied zwischen deutscher und arabischer Einrichtung findet sich in der Küchenbenutzung. Gerade für Deutsche spielt die Küche eine wichtige Rolle, die meiste Zeit wird an diesem Ort verbracht. In der Küche wird gekocht, kommuniziert, gemütlich beisammen gesessen. Bis in die 50er und 60er Jahre wurde die „gute Stube“, also das Wohnzimmer, nur zu besonderen Anlässen geöffnet, um Gäste oder Familienmitglieder hineinzubitten. Die teuren Möbel wurden geschont, so fand und findet das Leben noch immer in der Küche statt. Zeitweise versuchten moderne Architekten Wohnraum zu schaffen, indem sie die Küchen verkleinerten, doch mittlerweile ist dieser Trend rückläufig. Auch die junge deutsche Generation liebt geräumige Küchen, die als Kommunikationszentrum genutzt werden.

Ein undenkbarer Zustand für arabische Frauen. In der Küche arbeiten die Hausangestellten, die Frau des Hauses betritt diesen Raum höchstens, um nach dem Rechten zu sehen oder dem Personal Anweisungen zu erteilen, aber niemals, um dort Gäste zu empfangen.

Doch ist der Wandel im Bereich der Innendekoration auch in den Emiraten nicht aufzuhalten. Junge Araber wollen im Trend liegen, sie bevorzugen moderne, meist italienische Möbelstücke. Anregungen bekommen sie auf den jährlichen Möbelmessen in Dubai oder während ihrer Europabesuche. Ideen werden gesammelt, und das neue Heim wird nach modernen Gesichtspunkten eingerichtet. Dekorationsliebhaber können aus den stilistischen Fehlern der letzten Jahrhunderte lernen und für sich persönlich aus einem reichen Repertoire schöpfen. So gilt auch in den Emiraten: Schön ist, was gefällt, und die Schönheit liegt auch in Designfragen im Auge des Betrachters.