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AUSGABE Nr. 10 Mai - Juni 2008

Länderüberblick: Jemen
Kulturelle Schätze in Arabia Felix

Der Jemen ist eineinhalbmal so groß wie Deutschland und damit nach Saudi-Arabien der zweitgrößte Staat der arabischen Halbinsel. Mit insgesamt 2.500 Küstenkilometern hat das Land eine privilegierte Lage für alle Meeresliebhaber. Doch vor allem die faszinierenden Kulturschätze lohnen eine Reise in den Jemen.

Bevölkerung
Im Land leben um die 20 Millionen Einwohner. Der Anteil an jungen Menschen ist besonders hoch: 47 Prozent zählen höchstens 15 Lebensjahre, dagegen sind nur etwa 3 Prozent der Bevölkerung älter als 65 Jahre. Der Jemen ist zu 97 Prozent von Arabern bewohnt, diese sind im Westen häufig afrikanischer, im Süden oft asiatischer Herkunft. Europäer findet man zumeist in den größeren Städten. Staatsreligion ist der Islam mit sunnitischen Schafeiten im Süden, schiitischen Zaiditen im Norden sowie einer ismailitischen Minderheit, daneben gibt es eine kleine Gemeinde von jemenitischen Juden sowie ausländischen Christen und Hindus. Amtssprache ist Arabisch, aber Englisch gilt als wichtigste Handelssprache. Größte Stadt im Jemen ist die Hauptstadt Sanaa mit 1,8 Millionen Einwohnern. Mit al-Hudaida, Taizz, Aden erreichen drei weitere Städte die  Marke von 500.000 Einwohnern. Währung im Jemen ist der Rial.

Geschichte
Das Land blickt auf eine dreitausendjährige Geschichte zurück, welche geprägt ist von zahlreichen Besetzungen und der langjährigen Trennung von Nord- und Südjemen. Von 570 bis 627 nach Christus war der Jemen eine Provinz des Persischen Reiches. Im 10. Jahrhundert wurde der Jemen ein unabhängiges Imamat, dessen Eigenständigkeit jedoch immer wieder von Fremdherrschaft unterbrochen wurde: So besetzten die Fatimiden, die Ayyubiden und die Rasuliden das Land, bis es ab 1517 unter osmanischer Herrschaft stand. Im 16. Jahrhundert besetzten die Portugiesen zweitweise Aden und Sokroto, 1839 kamen die Briten, um dort ihren Stützpunkt für den Seeweg nach Indien anzulegen. Die Briten teilten sich ihre Gebiete mit dem osmanischen Reich auf.
1905 etablierte sich dann eine Grenze zwischen dem Norden und dem Süden Jemens und führte zu einer langjährigen Teilung des Landes mit unterschiedlichen Entwicklungen in den jeweiligen Regionen. Der Norden Jemens wurde 1918 zu einem unabhängigen Königreich, wo es jedoch immer wieder zu politischen Unruhen und häufigen Regierungswechseln kam. 1962 begann ein achtjähriger Bürgerkrieg zwischen Royalisten und Republikanern, welchen Letztere gewannen und die Arabische Republik Jemen gründeten. Im Süden war es ungleich ruhiger: Nahezu zeitgleich (1963) zu den Auseinandersetzungen im Norden führte die „Nationale Befreiungsfront“ einen Guerillakrieg gegen die damalige Kolonialmacht Großbritannien und rief im November 1967 die Demokratische Volksrepublik Jemen aus.
Zwar gab es häufig Grenzkonflikte zwischen den beiden Staaten, jedoch auch immer wieder Verhandlungen über eine politische Union von Nord- und Südjemen. Am 22. Januar 1990 schließlich öffnete man die Grenzen auf beiden Seiten und exakt vier Monate später, am 22. Mai 1990, schlossen sich die nördliche Arabische Republik Jemen und die südliche Demokratische Volksrepublik Jemen zur Republik Jemen zusammen.

Politik
Jemen verfügt über ein parlamentarisch kontrolliertes Präsidialsystem. Das jetzige Staatsoberhaupt Ali Abdullah Salih wurde 1999 zum ersten gesamtjemenitischen Staatsoberhaupt gewählt und 2006 in seinem Amt bestätigt. Eine weitere Wiederwahl schließt das Gesetz aus, bei der Volksabstimmung im Jahr 2013 wird sehr wahrscheinlich sein Sohn Ahmad Salih antreten.
Salih trieb während seiner Amtszeit die Gleichstellung von Mann und Frau, die Einführung von Grundrechten sowie die Demokratisierung des Staates voran. Aktuell wird das Parlament aus fünf Parteien und vier unabhängigen Politikern gebildet. Alle Jemeniten ab einem Alter von 18 Jahren verfügen über das Wahlrecht. Mittlerweile ist es der Regierung gelungen, die Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarstaaten Oman und Saudi-Arabien beizulegen. Auch die Beziehungen zu den USA und Großbritannien, welche unter der pro-irakischen Haltung des Landes im zweiten Golfkrieg gelitten hatten, konnten verbessert werden. Innenpolitisch ist die Situation im Jemen noch immer geprägt von Unruhen bezüglich des weiterhin anhaltenden Nord-Süd-Konflikts sowie Entführungen von Touristen.

Wirtschaft
In der vorislamischen Zeit war der Jemen einer der größten Lieferanten von Edelsteinen, Gewürzen und Myrrhe. Auf den in Europa sehr begehrten Weihrauch hatte man sogar ein Monopol. Zudem erreichte das Land durch einen regen Handel mit Indien sowie künstliche Bewässerung sehr früh einen gewissen Reichtum, den die Römer mit der Bezeichnung „arabia felix“ („glückliches Arabien“) lobten.
Heute ist der Jemen eines der ärmsten Länder in Arabien. Über 45 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als zwei Dollar pro Tag. Die Wirtschaft des Landes stützt sich fast ausschließlich auf die Förderung und den Export von Erdöl. Allerdings reichen die jemenitischen Ölvorräte Schätzungen zufolge nur noch bis zum Jahr 2016. Das Land steht somit vor einer großen wirtschaftlichen Herausforderung, indem es andere Einnahmequellen aufbauen und erschließen muss.
Obwohl nur etwa sieben Prozent der Landesfläche für Ackerbau genutzt werden können, macht dieser Bereich einen großen Anteil der Wirtschaft aus und beschäftigt über 60 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Auch der Tourismus bietet prinzipiell ein großes Potenzial, erlebt jedoch durch Entführungen von Ausländern immer wieder Rückschläge. Für 2008 wird der Beitritt zur „World Trade Organisation“ angestrebt.

Geografie
Der Jemen grenzt im Westen an das Rote Meer und im Süden an den Golf von Aden und das Arabische Meer. Staatsnachbarn sind Saudi-Arabien im Norden und der Oman im Osten. Zum jemenitischen Staatsgebiet zählen zudem die Insel Sokotra (3.600 km²) sowie zahlreiche kleine Inseln im Roten Meer, im Arabischen Meer und der Meeresstraße Bab al-Mandab.
Das Staatsgebiet lässt sich in drei Großlandschaften gliedern. An der Westküste beherrschen Sand- und Kiesflächen das Landschaftbild, bevor sich von der flachen Küstenregion zum Landesinneren steil das Randgebirge erhebt, welches an vielen Stellen eine Höhe von mehr als 3.000 Metern erreicht. Im Südwesten zeigt die Küstenebene vorstoßende Gebirgsflanken sowie auch Zeugen von früherem Vulkanismus: So liegt etwa die Stadt Aden in einem Doppelkrater. Der höchste Berg des Landes ist der Jabal an Nabi Shuayb mit 3.760 Metern, er liegt südwestlich der Hauptstadt Sanaa. Das Gebirge nimmt mehr als ein Drittel des Landes ein und wird durch den Hauptgebirgszug des Al-Sarat geprägt. An das Gebirge schließt sich im Osten ein von Wadis durchzogenes Hochland mit Durchschnittshöhen von 2.000 bis 2.500 Metern an, welches dann im Nordosten in Stufen zur zentralarabischen Sandwüste Al-Rub al-Khali abfällt.

Klima
Der Jemen ist das einzige Land auf der arabischen Halbinsel mit regelmäßigen Niederschlägen. Dies bezieht sich allerdings nur auf die Gebirgslandschaften, die Inseln und die Küstenebenen sind dagegen niederschlagsarm. Insgesamt zeigt sich aufgrund der geographischen Unterschiede im Land kein einheitliches Klima. So herrscht an der Küstenebene ein feucht-heißes Tropenklima mit einer relativen Luftfeuchtigkeit von 60-85 Prozent. Die Temperaturen in diesen Gebieten sind selbst in der Winterhälfte mit bis zu 23° in der Nacht und 31° am Tag sehr warm. Vor allem im Sommer ist es oft unerträglich heiß, teilweise mit Hitzewellen über 40°. Selbst in der Nacht sinken die Temperaturen selten unter 26°, oftmals gibt es auch Perioden von Tropennächten mit Temperaturen beständig über 30°.
Das Klima in den Gebirgsregionen des Landes zeigt sich dagegen eher mild. Die Winter sind trocken und von hohen Temperaturschwankungen gezeichnet: In der Nacht kühlt es oft bis fast auf den Gefrierpunkt ab, tagsüber dagegen bringen die Sonnenstrahlen Werte um die 24°. Der Sommer zeigt sich mäßig feucht mit zahlreichen Regentagen zwischen März und August.
Das Klima im Hochland ist das ganze Jahr über ziemlich trocken, die Winter sind mild, aber ebenso von großen Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht gekennzeichnet. Die Sommer sind mit Tageswerten um die 36° relativ heiß, an den Wüstenrändern sind auch Temperaturen von 45° keine Seltenheit.
Eine seltene Abkühlung im Sommer bringen gelegentliche Ausläufer des indischen Monsunregens, die es mit leichten Regenschauern schon mal an die jemenitische Südostküste schaffen, die Westküste aber nie erreichen.

Natur
An der Westküste wachsen salzliebende Gräser sowie Busch- und Strauchvegetation, auf den Lavafeldern im Südwesten und an der Südküste findet man Kokospalmen, Myrrhensträucher und Weihrauchbäume. Im Hochland im Landesinneren dominieren Feigenbäume, Dattelpalmen und Akazien. Weiter nordwärts folgt im Hochland Steppe, danach Halbwüste und Wüste.
Ein großes Problem im Jemen ist der Mangel an Trinkwasser. Die Brunnen, die bisher diese wichtige Ressource spendeten, trocknen langsam aus, und bisher gibt es kaum Pläne für einen Aufbau weiterer Bohranlagen und Wasserleitungen. Das Grundwasser wird wegen der immer weiter wachsenden Bevölkerung schneller verbraucht als es wieder aufbereitet und aufgefüllt werden kann, etwa indem die Niederschläge verarbeitet werden. Somit gilt die Wasserknappheit in diesem Land als eine der größten weltweit, was auch an der starken Verschmutzung des wenigen noch vorhandenen Wassers liegt.

Kultur
Eine Reise in den Jemen bietet Einblicke in die alte arabische Kultur. Das Land hat einige kulturelle Schätze der Vergangenheit zu bieten. Drei sind von der Unesco in die Liste der Weltkulturerbe aufgenommen worden: die Hauptstadt Sanaa sowie Shibam und Zabid. Diese Städte zeugen mit ihrer antiken Architektur, der Schönheit der Gebäude und der kleinen Gassen von der alten Kultur und dem besonderen Stil dieses Landes. Jemens Städte sind Museen unter freiem Himmel. Vor allem die Altstadt von Sanaa beweist als eine der größten erhaltenen Städte in der arabischen Welt die besondere Kunst des Häuserbaus. Der jemenitische Stil zeigt Gebäude aus dunklen Basaltsteinen und Lehmziegeln, deren Fassaden mit kunstvollen weißen Friesen verziert sind. Der geschichtliche Wert der Stadt wird in Form der zahlreichen Gebäude deutlich, die auf das Jahr 1000 nach Christus zurückgehen. Auf dem Land gibt es viele malerische kleine Siedlungen zu entdecken, die teilweise auf Berggipfeln thronen und eine bautechnische Meisterleistung darstellen.
Und dabei sind die kulturellen Schätze vergangener Zeiten noch gar nicht alle entdeckt: Erst im März 2008 fanden deutsche Archäologen in der Stadt Sirwah einen monumentalen und gut erhaltenen Tempel des früheren Königreichs Saba. Zudem wird derzeit unter anderem ein Gebäudekomplex des Heiligtums Almaqah aus dem 7. Jahrhundert vor Christus von deutschen Forschern restauriert.

Beziehungen zu Deutschland
Die Beziehungen zu Deutschland sind vor allem im wirtschaftlichen Bereich sehr gut. Hier wird die Bundesrepublik als bevorzugter westlicher Handelspartner des Jemen gesehen. Deutschland führt viele Agrargüter aus dem Jemen ein, im Gegenzug erhalten die Jemeniten große Mengen Maschinen, Kraft- und Nutzfahrzeuge. Der Warenaustausch ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Auch die entwicklungspolitische Unterstützung Deutschlands wird sehr positiv aufgenommen, Schwerpunkte der Zusammenarbeit sind hier der Kampf gegen die Armut der Bevölkerung sowie der Aufbau einer verbesserten Infrastruktur, vor allem für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung.
Zwischen den beiden Staaten besteht auch deshalb eine so gute Beziehung, weil sich Deutschland im Sezessionskrieg 1994 deutlich für eine Einheit des Jemen ausgesprochen hatte und diese damals unterstützte. An der Universität Sanaa wird neben Englisch und Französisch seit 1998 auch wieder Deutsch als Fremdsprache angeboten.