Artikel:
AUSGABE Nr. 21 März - April 2010

Dubai Speed
Kreativität, Kultur und Kommerz – Der Traum von Dreifaltigkeit am Golf

Der deutsche Autor und Theaterintendant Michael Schindhelm war von 2007 bis 2009 als Kulturmanager in Dubai tätig. Sein Wechsel von Berlin in das aufstrebende Wüstenemirat wurde ihm auf deutscher Seite nie richtig verziehen, denn aufgrund der schlechten Haushaltslage hatte er seinen Posten als Generaldirektor der Berliner Opernstiftung aufgegeben. Umso größer war die Schadenfreude, als er im Zuge der Finanzkrise im Sommer 2008 der Boommetropole den Rücken kehrte. Schindhelm, der Dubai gern als „Zelle der Zuversicht“, „Ort der Avantgarde“ oder „modernes Babylon“ bezeichnet, schildert in seinem Buch „Dubai Speed“ den alltäglichen Wahnsinn im Herzen der globalisierten Welt. In einem undurchsichtigen System von Vorgesetzten ohne Entscheidungskraft, kommunikationsgestörten Kompetenzgremien und westlichen Kulturverkäufern versuchte der heutige Wahlschweizer den europäisch-westlichen Kulturbegriff mit Dubai-typischem Profitdenken zu vereinbaren. „Die Zukunft heiβt Filialisierung von global erfolgreichen Kulturbrands, freie Kunstmarktwirtschaft, Handel mit Kreativität und Kreativen“, schreibt er in einem Gastkommentar im Tagesspiegel. Während sich die aufstrebenden Golfstaaten und China mit dem Erwerb westlicher Kulturmarken vom Abendland emanzipieren, ist die Bundesrepublik „mit sich selbst im Zwiegespräch über die Kunst aus Deutschland“, meint Schindhelm.
Wer als Deutscher in den Golfstaaten lebt, kann diese Theorie sicher bestätigen. Im Gespräch mit DiscoverME berichtet der studierte Diplomquantenchemiker von seinen Erfahrungen als Kulturmanager am Golf und von seinem neuen Buch „Dubai Speed“.

Was war Ihre persönliche Motivation für Ihr aktuelles Buch?
Es geht mir einfach um Aufklärung, die meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Es hat ja im deutschsprachigen Raum - und vor allem in Deutschland - selbst schon viele Resonanz auf das Buch gegeben. Es ist keine Abrechnung, auch keine Rechtfertigung gegenüber dem Westen oder dem Kulturbetrieb. Aber natürlich gibt es in meiner Umgebung, sprich Medien und Kultur, manche Leute, die früher schon in Deutschland gewusst haben, dass dabei nichts herauskommt. Auch in großen Zeitungen hat es damals schon Entgleisungen gegeben, wie ich nur darauf kommen kann, als Kulturmanager nach Dubai zu gehen. Diese Leute fühlen sich natürlich nun zum Teil bestätigt, da das Kulturprojekt jetzt nicht weitergeht. Mir geht es vor allem um die Beschreibung dessen, was in Dubai im Laufe der letzten Jahre passiert ist. Ich betrachte das Jahr 2008 als eine Art Kulmination einer extremen Beschleunigung des Booms und auch des Absturzes.

Wenn man Dubai Speed liest, spürt man deutlich den Gegensatz von einerseits „höher, schneller, weiter“ und dem Nicht-Vorwärts-Kommen andererseits, was darin begründet ist, dass oft niemand Verantwortung übernehmen oder Entscheidungen treffen möchte. Wie sind Sie denn persönlich mit dem Geschwindigkeitsgegensatz umgegangen?

Als ich 2007 in einen Turm an der Sheikh Zayed Road einzog, hatte ich einen grandiosen Blick auf die Stadt. Dann schraubte sich vor meinen Augen in einer Übergeschwindigkeit von weniger als einem Jahr der Nachbartower an mir vorbei in die Höhe und man konnte von dieser Appartementperspektive aus sehen, wie sich diese Stadt physisch in einem wahnsinnigen Tempo verändert.
In meiner beruflichen Umgebung, das beschreibt das Buch ja auch, ist allerdings über lange Strecken nicht sehr viel passiert und man hatte das Gefühl, dass es in Dubai nur schnell geht, wenn es ums Kommerzielle geht. Aber bei Projekten, die keine Rendite versprechen oder komplizierter sind, da geht es dann plötzlich viel langsamer, weil oft einfach das Verständnis dafür fehlt. Man konnte es einfach auf das Autofahren übertragen: Der Motor lief immer sehr schnell heiß, wenn es schnell gehen sollte. Wenn Entscheidungen getroffen werden sollten, dann ging alles in kurzer Zeit drunter und drüber und dann aber, im nächsten Moment, wurde wieder Stillstand gefahren.

Die weltweite Wirtschaftskrise birgt ja auf der einen Seite gewisse Gefahren, auf der anderen Seite aber auch Chancen für Veränderungen. Wie sehen Sie denn die Zukunftsperspektive für Dubai?

Bei aller Kritik halte ich sehr viel vom Konzept Dubais und identifiziere mich bis zu einem gewissen Grade auch nach wie vor damit. Es ist vor allem ein wichtiges Element, um überhaupt im Mittleren Osten eine Modernisierung der Gesellschaft hervorzurufen. Wenn man sich die Nachbarn Iran, Irak, Afghanistan und Pakistan oder auch Saudi-Arabien anschaut, dann sind das eben Länder, wo politische Instabilität und religiöser Fundamentalismus herrschen. In solch einer Umgebung ein Projekt wie Dubai zu entwickeln, verdient schon großen Respekt. Natürlich ist alles sehr schnell gegangen. Dubais Entwicklung hat ja nicht erst 2008 begonnen, sondern schon spätestens in den 1970er Jahren.  Und es gab auch gute Gründe dafür, dass alles in Dubai so schnell voranschreiten musste. Weil Dubai im Vergleich zu Abu Dhabi oder anderen Nachbarn über wesentlich weniger Ölreichtum verfügt, musste man sich mit der Modernisierung im Allgemeinen und insbesondere der Wirtschaft befassen und dadurch sind eben bestimmte Kinderkrankheiten entstanden. Dubai ist eine sehr junge Gesellschaft, die wie jede andere Gesellschaft durch Krisen gehen musste, damit sie reifer wird. Und insofern sehe ich auch diese Krise als ganz organischen Teil einer Entwicklung, die sich zwar drastisch niederschlägt, aber eben leider dazugehört. Jetzt hängt natürlich sehr viel davon ab, dass an der Spitze von Dubai die richtigen Lehren daraus gezogen werden. Das wird nicht ohne Hilfe der Nachbarn gehen. Wenn Sie sich die beiden Masterpläne von Abu Dhabi und Dubai vergegenwärtigen, dann sehen Sie, dass die Verschmelzung der beiden Regionen vorgesehen war und deshalb glaube ich, dass dieser Prozess jetzt auch beschleunigt wird. Dubai wird auch weiterhin eine gewisse Vorbildwirkung für die Nachbarn behalten.

Glauben Sie, dass man nach den Erfahrungen mit der Wirtschaftskrise versuchen wird, den Einfluss der westlichen Welt in den Golfstaaten einzugrenzen?

Das ist ein sehr kompliziertes Thema, das hat mich auch dazu angetrieben, dieses Buch möglichst rasch zu veröffentlichen. Zum einen glaube ich tatsächlich, dass es falsche Beratungen gegeben hat - nicht nur in Dubai - und auch, dass Dubai eben mal wieder symbolisch für die Art und Weise steht, wie der Westen pauschal mit Ländern wie China, Indien oder mit anderen Golfstaaten umgeht. Wo es zu bestimmter Zeit viel Kapital gibt, ist natürlich auch die Gier des Westens groß, sich an diesen Ressourcen zu beteiligen oder sich auch zu bereichern. Ich denke, dass eine ganze Reihe von zwielichtiger Beratung stattgefunden hat, und zwar in allen möglichen Bereichen. Ich glaube andererseits auch, dass es sehr viele gute Berater in Dubai gegeben hat, deren guten Ratschläge aber leider auch oftmals in den Wind geschlagen wurden. Berater, die keine Probleme dargestellt haben, sondern alles in rosigen Farben malten, hatten es natürlich einfacher. Ein Berater, der auch Kritik üben darf, der auch den Finger in die Wunde legen kann und trotzdem anerkannt wird, der hat kaum eine Chance. Und das ist einfach das Problem von internationaler Beratung insgesamt. Auch im Westen folgt man am liebsten Beratern, die sagen, was man selbst gern hören möchte. Und es gab sicherlich schon längst in Dubai (d.h. lange, bevor ich nach Dubai gekommen bin) bestimmte Anzeichen dafür, dass der Prozess so nicht weitergehen kann. Es ist aber vielleicht auch eine Art von arabischer kultureller Schwäche, dass die Fähigkeit, Kritik bedingungslos annehmen zu können oder gar herauszufordern, weitestgehend nicht ausgeprägt ist. Diese Thematik ist meiner Meinung nach in Dubai nie von Beratern in der Form angesprochen worden.

Könnten Sie sich denn nach Ihren persönlichen Erfahrungen in Dubai vorstellen, für ein zukünftiges Projekt in die Golfstaaten zurückzukehren?

Ich würde nie etwas ausschließen. Es ist aber einfach so, dass ich aufgrund des gerade beschriebenen Problems, von meinen ehemaligen Kollegen oder auch von den Emiratern eher skeptisch betrachtet werde. Für mich ist die Sache aber nicht vorbei. Ich habe nicht nur ein Buch geschrieben und einen Blog erstellt, sondern ich gebe Interviews und ich bin weiterhin fast obsessiv mit Dubai beschäftigt. Obwohl ich nicht mehr unmittelbar beteiligt bin, bewegt mich das Thema weiterhin und deshalb wäre jemand wie ich gerade jetzt dort ganz nützlich, da ich Dubai auf dem Höhepunkt des Erfolgs erlebt habe und auch die Schwachpunkte dieser Entwicklung sehen konnte. Weil Dubai jedoch wirtschaftlich in der Krise steckt, muss die Kultur als ein vordergründiges Entwicklungsprojekt jetzt einfach zurückstehen. Die Regierung hat momentan ganz andere Sorgen und für mich gäbe es in Dubai sicherlich dieses oder nächstes Jahr nichts zu tun.

Was sind denn Ihre persönlichen Wünsche und Ziele für die Zukunft?

Zur Zeit bin ich sehr mit dem Buch beschäftigt und darüber hinaus arbeite ich zusammen mit dem Architekten Rem Koolhaas an einem Kulturprojekt in Hongkong. Ich glaube, dass ich ein bisschen mehr Ruhe brauche, um mich sowohl gesundheitlich zu regenerieren, als auch einfach mal wieder eine Balance zu finden zwischen mir als sozialem Wesen und mir als einem beruflichen Dauermotor. Wenn man nur noch das Gefühl hat, dass man mit seiner Arbeit beschäftigt ist, dann stimmt irgendwas nicht. Ich glaube, dass dieser Punkt bei mir erreicht ist. Dubai hat mir bestimmte Erfahrungen vermittelt, die ich weiterentwickeln und auch weitergeben möchte. Und ich bin davon überzeugt, dass wir im Westen unser Bild von dem, was kulturell in dieser Welt passiert, ändern müssen. Und daran würde ich in den nächsten Jahren gern mitwirken. So ironisch das Buch auch an vielen Stellen klingen mag, Dubai Speed soll schon in seiner Art ein erster Beitrag dazu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.