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AUSGABE Nr. 22 Mai / Juni 2010

Fit für den Orient
Wie man interkulturellen Fettnäpfchen aus dem Weg gehen kann

Viele deutsche Unternehmen sind zunehmend international aktiv und entsenden Mitarbeiter ins Ausland. Egal ob Saudi-Arabien, Japan oder USA – es gilt der Spruch: „Andere Länder, andere Sitten“. Wer erfolgreich im Ausland Geschäfte machen oder sich ein soziales Netzwerk auβerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft aufbauen möchte, sollte sich auf das Leben im neuen Kulturkreis gut vorbereiten.

Was erwartet Sie wirklich, wenn Sie das Flugzeug verlassen? Kennen Sie die gängigen Begrüßungsrituale? Das richtige Verhalten bei Tisch? Oder den korrekten Umgang mit dem anderen Geschlecht? Drei Jahre lebte Sabine Dyck in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Während dieser Zeit machte sie sich neben ihrer Tätigkeit als Redakteurin eines Kultur- und Wirtschaftsmagazins mit der Organisation interkultureller Workshops für westliche Ausländer einen Namen. Heute bietet Sabine Dyck in Deutschland Seminare, Workshops und Einzeltraining zum Thema „Leben und Arbeiten im arabischen Ausland“ an. Im Gespräch mit DiscoverME berichtet die lebenslustige Rheinländerin über ihre Erfahrungen als „Intercultural Coach“ und selbst erlebte Kulturschocks.

Wie entstand die Idee, in Deutschland als „Intercultural Coach“ zu arbeiten?
Die Firma, für die ich in den Emiraten arbeitete, initiierte Workshops zu kulturellem Training und wir mussten immer wieder feststellen, dass viele der deutschsprachigen „Expatriates“ weder kulturell noch rechtlich auf das Leben im arabischen Ausland vorbereitet sind. Selbst nach längerem Aufenthalt verhalten sich viele Auswanderer nicht dem Land angemessen und manche brüskieren mit ihrem Fehlverhalten geradezu die muslimischen Mitbürger. Ich denke dabei an zu knappe Damenbekleidung, Zärtlichkeitsaustausch in der Öffentlichkeit oder das zu dominante und laute Auftreten deutscher Frauen und Männer, um nur drei kleine Beispiele zu nennen. So entstand die Idee, Privat- und Geschäftspersonen für ein Leben im arabischen Ausland zu trainieren. Eine Vorbereitung, die schon in Deutschland wichtig ist, denn Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Außerdem sind theoretische Ratgeber wie  gängige Literatur oder  TV-Reportagen nicht ausreichend. Persönliche Erfahrungen und Informationen aus erster Hand sind nach meiner Meinung die besten Ratgeber.

Welche Zielgruppen sprichst du an?
Ich möchte Privat- und Geschäftspersonen, aber auch Urlauber auf ihren Aufenthalt im arabischen Ausland vorbereiten. In meinen Kursen spreche ich sowohl Neulinge als auch alte Hasen des arabischen Raums an. Das Wissen, welches ich vermittle, entstammt nicht irgendwelchen theoretisch angelesenen Weisheiten, sondern ich schöpfe aus meinem reichen Erfahrungsschatz, den ich während meines Lebens in den VAE sammeln konnte. Meine Kunden werden regelrecht an die Hand genommen und bekommen die gesamte Bandbreite von kulturellen bis hin zu alltäglichen Fragen beantwortet. Ich möchte zukünftige Residenten für ihr Leben in einem arabisch-islamischen Land sensibilisieren und ihnen das nötige Basiswissen mit auf den Weg geben.

Wie wird das Angebot angenommen?
Die Nachfrage nach interkulturellen Trainern wächst. Sowohl Firmen als auch Einzelpersonen haben erkannt, dass eine umfangreiche Vorbereitung auf ihr Leben im Ausland unumgänglich ist. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass besonders Frauen an einer guten Vorbereitung interessiert sind. Gerade sie verlassen nicht nur ihre Heimat, sondern müssen sich auch mit einer komplett neuen Rolle anfreunden und möchten darauf vorbereitet sein.

Wie waren deine ersten Eindrücke, als du im Jahr 2006 nach Abu Dhabi kamst?
Ich war total begeistert und von der modernen Welt überrascht. Ich beschreibe meine ersten Eindrücke gerne so: Man wird innerhalb von sechs Stunden in ein hypermodernes Land katapultiert, das nichts mit verträumter orientalischer Beduinenromantik zu tun hat. Mich haben der Luxus, die glitzernden Wolkenkratzer, die Sauberkeit und vor allem die Freundlichkeit der Menschen in ihren Bann gezogen. Wer aus der Servicewüste Deutschland anreist, fühlt sich wie im Märchen von tausendundeiner Nacht. Ich hatte einen richtigen Kultur-Jetlag und war auf dieses moderne Land und mein Leben  nicht vorbereitet. Es stimmte nichts mit meinen Vorstellungen überein. Statt Kamele und Wüste fand ich Glitzermetropolen und ein regelrechtes High-Society-Leben vor.

Was hat dir in Abu Dhabi gefehlt?
Meine Familie und meine engen Freunde. Obwohl man sich, dank der modernen Technik, problemlos unterhalten und sogar sehen kann, fehlten mir die langen Gespräche mit meinen Freundinnen. Außerdem regelmäßige  Waldspaziergänge und die vielen kleinen, stilvollen Kölner Espressobars, die ich gerne besuche.

Bist du während deines Aufenthalts in den VAE auch selbst  in ein interkulturelles Fettnäpfchen getreten?
Klar, sogar in viele – ich hatte nämlich keinen Coach, der mich an die Hand genommen hat. So habe ich zum Beispiel meinen Mann durch mein typisch deutsches Auftreten - laut und dominant -  unwissentlich in peinliche Situationen gebracht, bei denen er vor seinen arabischen Kollegen fast sein Gesicht verloren hätte. Wer als Frau alles in die Hand nehmen will und im Beisein des Mannes alles regelt und ihn in die zweite Reihe verweist, lässt ihn wahrlich nicht gut dastehen. Ein weiteres Beispiel: Ich war gerade vier Wochen in den VAE und hatte ein Vorstellungsgespräch. Absolut überrascht war ich, dass mein zukünftiger Chef mindestens zehn Jahre jünger war als ich und teilte ihm dies auch bewundernd mit. Natürlich bekam ich den Job nicht und er war auch nicht mehr für mich zu sprechen. Ich wusste nicht, dass ich ihn damit beleidigt hatte, denn in den Emiraten wird das Alter bewundert und geachtet.

Drei Jahre später hast du dich mit deinem Mann entschieden, zurück nach Deutschland zu gehen. Wie hast du diesen Schritt erlebt?
Mir fiel der Umzug nach Deutschland unglaublich schwer. Ich kam im Winter zurück und musste mich direkt mit Minusgraden herumärgern. Da wir die Emirate eigentlich noch nicht verlassen wollten, traf mich die Rückkehr zum falschen Zeitpunkt. So bin ich mit viel Heimweh und dazu hochschwanger nach Deutschland zurückgekehrt. Es fiel mir unglaublich schwer, mich wieder einzugliedern. Ich hatte nicht nur Probleme mit der Temperatur, sondern auch mit alltäglichen Dingen. Wir kamen zurück in eine kleine Wohnung und mussten plötzlich alles allein regeln. In den Emiraten konnten wir die Dinge des täglichen Lebens delegieren. Es gab es zum Beispiel eine Dame, die sich um die Sauberkeit der Wohnung kümmerte, freundliche Kioskmitarbeiter, die uns unser Wasser brachten oder einen Autoputzer, der unseren Wagen vom Staub und Sand befreite. Die vielen kleinen Helferlein, die uns den Aufenthalt versüßten, mussten wir natürlich zurücklassen und selbst den Feudel schwingen. Außerdem konnte ich mich mit niemandem austauschen. Meine Erlebnisse, meine Erfahrungen - niemand hörte mir wirklich zu oder konnte nachvollziehen, wovon ich sprach. So zog ich mich einfach zurück. Hinzu kam, dass ich mich auch noch an meine neue Rolle als Mutter gewöhnen musste.

Was vermisst du, seitdem du wieder in Deutschland lebst?
Die positive Energie. Wer länger in den Emiraten lebt, spürt eine Energie, die jedem vermittelt, dass alles möglich ist. Man erfährt eine gewisse Leichtigkeit – und ich kann nicht genau sagen, ob es an der täglichen Sonne, der positiven Berichterstattung, den freundlichen Menschen oder an einer Kombination aus allem liegt. Außerdem vermisse ich die freundlichen Menschen, die Wüste, das warme Meer und natürlich meine Freunde, die ich während meines Aufenthalts kennenlernen durfte. Und ich würde lügen, wenn ich den Luxus nicht erwähnen würde. Die schicken Fünf-Sterne-Hotels und Restaurants haben mir gut gefallen. Aber auch die kleinen libanesischen Restaurants, bei denen man absolute Geschmackshöhepunkte erleben kann. Die VAE sind ein sehr sicheres Land: dieses unbeschwerte Herumschlendern fehlt mir auch. In Deutschland bewegt man sich anders, gerade in Köln muss man seine Taschen und Wertsachen gut im Auge behalten. Was ich auch vermisse, sind die beleuchteten Städte und Autobahnen. Die Helligkeit gibt einem ein zusätzliches Gefühl der Sicherheit.

Welchen Tipp kannst du denjenigen mit auf den Weg geben, die sich bestmöglich auf einen Aufenthalt im Ausland vorbereiten wollen?
Auf jeden Fall sollte man sich mit Hilfe eines interkulturellen Trainers auf das neue Umfeld einstellen. Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass der Trainer auch selbst im Land gelebt hat – dann können auch Fragen des täglichen Lebens beantwortet werden: Wo gibt es europäische Lebensmittelläden? Wie bekomme ich Internetanschluss, usw. Auβerdem kann Fachliteratur hilfreich sein. Die Internetseiten der jeweiligen Botschaften und des Auswärtigen Amts sind  gute und seriöse Informationsquellen. TV-Reportagen empfehle ich nicht, weil deren Berichterstattung oft sehr einseitig ist und nicht das wahre Leben widerspiegelt.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Falls Sie mehr über Sabine Dyck und ihre Arbeit als Intercultural Coach erfahren wollen, dann besuchen Sie die Internetseite:
http://www.sabine-dyck.com/