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AUSGABE Nr. 25 November / Dezember 2010

Die Perfektion: ein geknicktes Ohr und zerrupftes Fell

Exponate für die Nachwelt: Corina Berners und Andre Appelt erwecken am „Central Veterinary Research Laboratory“ Tiere optisch wieder zum Leben

„Rama“ ist wohl eines der aufwändigsten Projekte, das Corina Berners und Andre Appelt jemals auf ihre Arbeitstische bekommen haben. Seit knapp vier Monaten gehört die Aufmerksamkeit der 26-jährigen Tierpräparatorin und des 24-jährigen Tierpräparators ausschließlich dem vierbeinigen „Cama“. Die beiden Deutschen arbeiten am „Central Veterinary Research Laboratory“ (CVR). Gegründet wurde die Einrichtung von Seiner Hoheit Scheich Mohammed Bin Rashid Al Maktoum, geleitet wird es von Dr. Ali Ridha und Priv. Doz. Dr. Dr. habil. Ulrich Wernery. Neben vielen anderen Abteilungen ist die der Tierpräparation eine der gefragtesten. Bisher  wurden 139 Tiere dort abgegeben, darunter Bengalische Tiger, weiße Löwen, Gazellen, Pferde und nicht zuletzt vier Giraffen. Doch „Rama“ ist das bisher prominenteste Tier.

Vor 12 Jahren beherrschte das „Cama“ die weltweiten Schlagzeilen. „Rama“ – so der Name des seltenen Tieres – ist eine Kreuzung aus Kamel und Lama.  Rama hat die kurzen Ohren und den langen Schweif eines Kamels, allerdings keinen Höcker und die Hufe eines Lamas. Ramas Besitzer erhoffte sich von der Kreuzung ein Tier mit einem ausgeglichenen Temperament, mit mehr Wolle und der Kraft eines Kamels. Mittlerweile hat Rama – die Mutter war ein 75 Kilogramm leichtes Lama, der Vater ein 450 Kilogramm schweres Kamel – das Zeitliche gesegnet. Trotz weiterer geglückter Kreuzungen wie den Camas Kamilah, Jamilah und Rocky, soll Rama der Nachwelt erhalten bleiben.

Vor dieser Aufgabe standen nun Corina und Andre. Eine Aufgabe, die sich als nicht einfach erwies. Tagelang fertigten sie akribische Zeichnungen jedes Muskels und von jeder Falte des Tieres an. Sie nahmen Maß und notierten die Ergebnisse für ein Modell. „Wir wollen die Tiere ja so originalgetreu wie möglich darstellen“, erklärt Corina. Deshalb werden die Formen – die später das Gerüst für die präparierten Tiere bilden – zumeist auch selbst hergestellt. „Für einige Tiere gibt es grobe Vorlagen, für so etwas Spezielles wie das Cama allerdings nicht“, sagt Corina. Üblicherweise besteht die Form aus PU-Schaum, auf dem dann mit Ton die Formen des verstorbenen Tieres detailgetreu nachgebildet werden. Später wird die gegerbte Haut des Tieres auf die Form gezogen. Bei Rama war das eine riesige Herausforderung: „Es gibt hier keine Gerberei, die das Fell der Tiere so präparieren könnte, dass es orginalgetreu bleibt“, sagt Andre. Daher haben sich die beiden Präparatoren eigene Trommeln für das Gerben der Felle gebaut, und präparieren diese in mühevoller Arbeit selbst. Die größte Herausforderung aber steckt im Detail. „Da es so ein Tier wie Rama bislang noch nicht gab, haben wir keine Erfahrungswerte und keine Vorlagen, auf die wir zurückgreifen können.“ Die einzige Vorlage ist das tote Tier.
Eine Aufgabe, welche die beiden aber nicht abschreckt. „Wir sind Tierpräparatoren geworden, weil wir Tiere mögen und sie für die Forschung verwahren möchten“, sagen sie. Beide haben das Ziel, aus jedem Tier das beste Präparat zu machen. „Wir wollen im Vorfeld auch immer die Geschichte des Tieres kennenlernen.“ Das  erleichtert die Arbeit. Vor allem hat jeder Kunde, der sein Tier zum CVR Laboratory bringt, einen ganz persönlichen Grund, warum das Tier erhalten werden soll. „Wir mussten auch schon Tiere einbalsamieren, damit ihre Besitzer sie mit in die Heimat nehmen konnten.“ Dabei geben die Besitzer ganz genau an, wie ihr Tier aussehen soll und in welcher Umgebung es präsentiert werden soll. „Die größte Herausforderung ist dann für uns, das Tier zumindest optisch wieder zum Leben zu erwecken. Wir polieren die Tiere daher auch nicht auf, sondern stellen sie so dar, wie sie waren.“ Dazu gehöre dann auch mal das zerrupfte Fell oder ein geknicktes Ohr. Erst dann sei das Tier perfekt.
Überwinden müssen sich Corina und Andre bei ihrer Arbeit nicht. Im Gegenteil: Für sie ist die Arbeit extrem spannend. „Am Skelett der Tiere kann man oftmals auch deren Krankengeschichte erahnen und sieht auch, ob der Tierarzt erfolgreich behandelt hat oder nicht“, sagt Andre. Für die beiden sei ihre Arbeit hier in Dubai ständiges Lernen. Dass sie ihren Job gern machen, zeigt ein Blick in ihren Arbeitsraum. Der ist gefüllt mit fertigen und halbfertigen Präparaten. Da sitzt das Weißbüscheläffchen friedlich über einem Steinbock und die Gazelle steht ungerührt neben einem am Boden liegenden Geparden.
Der größte Stolz der beiden aber ist ein Pferd, das sie für eine Privatperson präpariert haben. „Das ist wohl unser bislang gelungenstes Stück“, sagt Corina. „Da sitzt jedes Haar und sogar den Gesichtsausdruck haben wir hinbekommen.“ Die schönste Belohnung für beide ist nämlich, wenn die Besitzer in dem präparierten Tier tatsächlich den verstorbenen Liebling wiedererkennen. Deshalb liefern sie die Tiere auch gern selbst aus. „Da sehen wir die Reaktionen der Leute und bekommen ein Gefühl dafür, ob sie auch gut mit den präparierten Tieren umgehen.“ Das ist den beiden wichtig, denn es stecke viel Arbeit und auch ein wenig Herzblut in jedem Präparat. Obendrein sind die für die Nachwelt gestalteten Tiere auch nicht ganz billig: eine Giraffe schlägt so zum Beispiel mit bis zu 400.000 Dirham zu Buche, ein Tiger mit bis zu 35.000 Dirham und eine gewöhnliche Hauskatze mit bis zu 8.000 Dirham.
Am häufigsten wurden 2009 übrigens Falken präpariert, danach folgten Schildkröten sowie Hauskatzen und Hunde. Allerdings betonen Corina und Andre, dass sie nicht jedes Tier für eine Präparation akzeptieren. „Tiere, die Schusswunden aufweisen, nehmen wir beispielsweise gar nicht an“, sagt Corina. Sie nähmen ihre Arbeit sehr ernst. Daher wollen die beiden mit dem zu zweifelhaftem Ruhm gelangten Plastinator Gunter von Hagen auch nicht in einen Topf geworfen werden. Für sie habe ihre Arbeit viel mit Forschung und Aufklärung zu tun – nicht mit sensationsheischender Publicity.
Rama ist mittlerweile übrigens fertig. Das präparierte Tier wird aller Voraussicht nach der Öffentlichkeit zugänglich sein und wohl einen Platz an seinem Geburtsort – dem „Camel Reproduction Centre“ – bekommen.

Weitere Informationen: www.cvrl.ae