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AUSGABE Nr. 34: Mai – Juni 2012

Nuklearenergie im Nahen Osten nach Fukushima
Die VAE als Vorreiter in der arabischen Welt

Trotz ihrer riesigen Öl-und Gasreserven setzen die meisten Staaten im Nahen und Mittleren Osten auf Kernenergie, um ihren wachsenden Hunger nach Energie zu stillen. Fukushima hat zwar auch hier kritische Fragen aufgeworfen, die nukleare Energieoption bleibt aber überwiegend nach wie vor auf dem Tisch.

Während Ägypten sich bereits seit den fünfziger Jahren mit der Frage beschäftigte, ob es zur Befriedigung des Energiebedarfs auch auf Atomkraftwerke setzen solle, wurden entsprechende Pläne der erdölreichen Staaten des Golfkooperationsrates (GCC) erst im Jahre 2007 durch die Veröffentlichung einer Studie publik, welche die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in ihrem Auftrag angefertigt hatte und in deren Folge dann auch entsprechende Abkommen zur Nutzung der friedlichen Kernenergie entsprechend den Bedingungen der IAEA abgeschlossen wurden. Manch einer stellte sich bereits damals die Frage, warum ausgerechnet eine Region, die mit mehr als zwei Drittel der weltweiten Ölreserven und mehr als einem Drittel der weltweiten Gasreserven gesegnet ist, sich für diese umstrittene Energie interessiert. Die Motivation in den verschiedenen Ländern ist überwiegend identisch: Zum einen der exponentiell steigende Energiebedarf, insbesondere zur Stromgewinnung für die Meerwasserentsalzung, zur Kühlung und insgesamt zur Versorgung einer stark wachsenden Bevölkerung. Zum andern die Möglichkeit, Öl und Gas für profitablere Zwecke zu nutzen, statt es zur Stromgewinnung einfach zu verbrennen. Schließlich auch - da von vielen westlichen Staaten nukleare Energie als "clean energy" propagiert wird - aus Gründen des globalen Klimaschutzes.

Vorreiter bei der Nutzung der Kernenergie in der arabischen Welt sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Diese betrachten, wie es in einem offiziellen Grundsatzpapier zur friedlichen Nutzung der Kernenergie heißt, Nuklearenergie "als eine erprobte, viel versprechende und äußerst wirtschaftliche Energieoption, die einen signifikanten Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung und gleichzeitig zur Energiesicherheit des Landes zu leisten vermag". Bei einem geschätzten jährlichen Mehrbedarf an Energie von etwa 9% in der nächsten Dekade wurde so die Nuklearenergie zu einem Kernelement der Energiestrategie des Landes erklärt und ihre Entwicklung schreitet seither mit ungebremstem Tempo voran.

Nachdem der nationale und internationale gesetzliche und regulatorische Rahmen einschließlich der Gründung einer nationalen Aufsichts- und Regulierungsbehörde geregelt war, schrieb schließlich im Jahre 2009 die Emirates NuclearEnergy Corporation (ENEC) - eine dem Namen nach nationale, faktisch aber zu Abu Dhabi gehörende staatliche Gesellschaft - einen Großauftrag für den Bau von vier Kernkraftwerken aus. Den Zuschlag erhielt zur allgemeinen Überraschung nicht ein – von der französischen Regierung politisch stark unterstütztes - Konsortium unter Führung der französischen Firma ADVEA, sondern ein von der Korea Electric Power Company (KEPCO) geführtes Konsortium, dem, neben den anderen koreanischen Unternehmen Samsung, Hyundai und Noosan, auch die amerikanische Westinghouse als wichtiger Technologiepartner angehört. Das Auftragsvolumen für diese erste Gruppe von Kernkraftwerken betrug 20,4 Mrd. USD, der größte Auftrag in der Geschichte des koreanischen Konsortiums. Für den Betrieb der Anlagen, die zwischen 2017 und 2020 alle vier am Netz sein sollen - wird dann in den nächsten 60 Jahren noch einmal in etwa die gleiche Summe fällig.

Lehren aus Fukushima?

Das Desaster von Fukushima, wo die Überflutung der Kernkraftanlagen infolge eines Tsunami letztlich zur Kernschmelze führte, änderte bisher nur wenig an den Ambitionen der VAE, seine Energie-Herausforderungen mittels Atomenergie zu lösen. ENEC sandte zwar sofort eine Kommission nach Japan und befindet sich seither in einem regen Austausch mit anderen Ländern, deren Experten die Ursachen und Folgen von Fukushima analysierten. Gleichzeitig versicherte der ständige Botschafter der VAE bei der IAEA, HAMAD ALI AL KAABI, dass man die Lehren aus Fukushima ziehen und dass man sich entsprechend international koordinieren werde. Daher sei es nahezu ausgeschlossen, dass sich Derartiges bei den eigenen Anlagen ereignen könne. So sieht das auch MOHAMMAD AL HAMMADI, der CEO von ENEC: "Wir vertrauen auf die Robustheit unserer Technologie, die Gründlichkeit unseres Designs sowie auf die zuverlässigen und gründlichen Analysen bei der Wahl der Standorte für unsere Atomkraftwerke", und fügt hinzu, dass man selbstverständlich die Verantwortung fühle, aus den Ereignissen von Fukushima zu lernen und stets bemüht sein müsse, die höchsten Sicherheitsstandards zu befolgen. Dabei müsse man allerdings die spezifischen lokalen Bedingungen zugrunde legen. So sei etwa ein Tsunami oder eine Wasserüberflutung der Anlagen an den VAE-Standorten nicht anzunehmen, man müsse aber etwa streng prüfen, welche Auswirkungen z.B. Sandstürme für die für die Kühlung und die anderen Sicherheitsanlagen erforderlichen Dieselgeneratoren haben können.

Ob diese Erklärungen auf Dauer ausreichen, die Gemüter ruhig zu halten, bleibt abzuwarten und hängt sicherlich auch vom weiteren Schicksal der Kernenergie in anderen Ländern ab. Hinzu kommt, dass gerade vor Kurzem, nur knapp 600km vor der Küste der VAE, im iranischen Buscheer, das erste Kernkraftwerk am Persischen Golf ans Netz gegangen ist. Busheer liegt in einer Region, deren tektonische Beschaffenheit sie - nach Auffassung vieler Experten - nicht zu einem optimalen Standort für ein Kernkraftwerk macht. Auch die technische Beschaffenheit der weitgehend auf russischer Technologie beruhenden Anlage wird von vielen Experten mit einem gewissen Argwohn beobachtet. In einigen Medien wurden daher Befürchtungen geäußert, dass ein Desaster in Buscheer - analog zu Fukushima oder Tschernobyl - auch auf die VAE und die ganze Arabische Halbinsel – im wahrsten Sinne des Wortes - " ausstrahlen" und auch das Wasser im Persischen Golf, auf dessen Entsalzung die Golfstaaten zur Trinkwasserversorgung angewiesen sind, verseuchen würde. Auf keinen Fall aber, so eine renommierte arabische Seismologin, seien die Golfstaaten auf eine solche nukleare Katastrophe vorbereitet.

Doch obwohl - oder gerade weil - Buscheer im Iran liegt, werden diese mehr praktischen Bedenken überlagert von der Problematik der iranischen Atompolitik insgesamt und der daraus abgeleiteten Gefahr einer Zuspitzung dieser politischen Spannungen, bis hin zu einem militärischen Schlagabtausch. Dabei ist nicht ohne Ironie, dass der Hauptprotagonist eines militärischen Erstschlages, Israel, bisher selbst keine Kernkraftwerke besitzt. Dies aber nicht, weil es – wie etwa Deutschland und Japan - die Kernenergie spätestens nach Fukushima nicht mehr für eine Zukunftsoption halten würde, sondern weil es solche nicht in Betrieb setzen darf, solange es nicht dem Internationalen Vertrag zur Nichtverbreitung von Atomwaffenbeigetreten ist, weil es ansonsten seine allseits vermuteten Atomwaffen offenlegen müsste.

Auch Saudi-Arabien, das politische, militärische und wirtschaftliche Schwergewicht unter den arabischen Golfstaaten, hat kürzlich öffentlich mit dem Gedanken gespielt, sich mit Hilfe Pakistans Atomwaffen zu besorgen, sollte der Iran seine Technologie zur Anreicherung von Uran bis in die gefährliche Nähe zur Produktionskapazität für atomare Waffen nicht beenden oder von dritter Seite daran gehindert werden. Doch während dies eher als politisches Signal im diplomatischen und politischen Pokerspiel am Golf gewertet werden muss, hat Saudi-Arabien bereits vor einigen Jahren mit dem Aufbau einer nuklearen Regulierungsbehörde und dem Beitritt zu einschlägigen internationalen Abkommen einen Prozess begonnen, an dessen Ende der Bau von Kernkraftwerken stehen kann. Gleiches gilt für Jordanien, das 95% seines Energiebedarfes importieren muss und das daher, mehr noch als seine öl-und gasreichen Nachbarn am Persischen Golf, auf nukleare Energie setzt. Doch auch hier sind, ebenso wie in Saudi-Arabien, die Pläne noch nicht in eine konkrete Bauphase getreten.

Auch in Ägypten, das schon in den fünfziger Jahren eine Atombehörde eingerichtet hat und das insbesondere zu Anfang des neuen Milleniums Pläne zur Errichtung eines Kernkraftwerkes an einem schon festgelegten Standort in der Westlichen Wüste wieder aufgenommen hatte, hält mit ähnlichen Argumenten wie die VAE an den Plänen zum Ausbau der zivilen Kernenergie fest. Dies, obwohl sich erst kürzlich ein renommierter, in den USA forschender ägyptischer Nuklearwissenschaftler sehr skeptisch darüber geäußert hat, ob Ägypten denn die technologischen Herausforderungen einer solchen Technologie beherrschen würde. Man darf gespannt sein, wie die neue ägyptische Regierung, welcher Coleur sie auch immer sein wird, sich zu dieser Frage verhalten wird. Lediglich der ebenfalls erdölreiche Golfstaat Kuwait hat sich bisher eindeutig dagegen ausgesprochen, die früheren Pläne für den Aufbau von Atomenergie weiter zu verfolgen. Folgerichtig wurde das bisherige "Kuwait National Nuclear Energy Committee" (KNNEC) faktisch stillgelegt und nur einige einschlägige Forschungsprojekte im Bereich der Nuklearmedizin wurden an das kuwaitische Forschungsinstitut übertragen.

Insgesamt kann man feststellen, dass Fukushima die arabische Welt, oder zumindest die öffentliche - vielleicht besser gesagt, veröffentlichte Meinung - in großen Teilen nicht sonderlich beeinflusst hat. Sowohl die Problematik der Kernenergie, wie sie etwa in Deutschland gesehen wird, als auch einzelne Teilthemen dieser Problematik, wie etwa die Frage der Endlagerung von Atommüll, sind noch ziemlich weit weg vom öffentlichen Bewusstsein. Allerdings – und dies kann man durchaus in fast allen Ländern der arabischen Welt feststellen – werden Erneuerbare Energien, besonders natürlich Solarenergie, als präferenzielle, da nachhaltigere und weniger gefährliche Energieoption, auch gegenüber der Nukleartechnologie, eindeutig in den Vordergrund gestellt.

[Dr. Peter Göpfrich, Geschäftsführer, Deutsch-Emiratische Industrie- und Handelskammer (AHK)]